Familien Reise Abenteuer


Iran & Pakistan 2022

Chronologisch beginnen die Blogeinträge mit dem Iran unten. 

PAKISTAN 

 

Sonntag, 19. Februar 2023 - Nachtrag von Goa, Südindien aus

Prolog: Ich bitte die pakistanischen Polizisten, mir Handschellen anzulegen.

 

Unsere Pakistan-Geschichte – Eine Einführung

 

16 Tage im November flitzten wir die meiste Zeit durch das Land und stockten die restliche Zeit… vor Warterei oder dem Schreck, der passierte.

Die Einreise zieht sich lang, vor allem lernen wir schnell, dass Fotos von uns machen sehr beliebt ist, an jeder noch so kleinen Grenzstation werden wir ausgiebig abgelichtet.

Das Land wirkt trotz allem, was wir an persönlichen Schwierigkeiten erleben, sehr sympathisch auf uns – wir hätten auch eine ganz andere Zeit haben können.

 

Pakistan zieht uns in den Bann, wir können uns nicht sattsehen, wollen tiefer rein und mittendrin sein, und doch begleitet uns die Entscheidung, bald an unserem Zielort in Südindien zu sein.

Fatal.

Wir sind zu schnell unterwegs.

Es ist zu viel.

Wir ignorieren, dass wir Pause brauchen. Und dann passiert was.

Ihr Lieben, wer mich kennt weiß, mir liegt dran authentisch zu schreiben. Ich schnatter nicht nur über die coolen Seiten, alles hat seinen Platz.

Lebe deinen Traum. Verwirkliche ihn. Oh, toll. Jippjipphurra.

Aber: Auch nicht immer sinnvoll!

 

Wir haben einen Traum verwirklicht. Kann schön und erleichternd sein.

Unser gehegter Traum, seitdem wir uns vor 21 Jahren in Indien kennenlernten, Indien Überland zu erreichen – nun noch verstärkt durch die Geburt von Finni vor 10 Jahren in Goa.

Die Umsetzung des Traumes wurde vorher gründlich abgewägt von der ganzen Familie. Und passierte schneller als gedacht. Nur wurde eben nicht die Schnelligkeit bedacht.

 

Traum leben ist kein Garant für irgendwas.

Plötzlich wachten wir aus dem Traum und der Traum war kein Traum mehr. Eher ein Albtraum.

Natürlich kann überall was passieren.

Überall kann es plötzliche Ereignisse geben, die einen von der Stange hauen.

 

In Pakistan waren wir dran.

Die Plötzlichkeit überrumpelte uns.

 

 

Was gut durchs Leben führt ist, in Kontakt mit sich sein.

Unser Lebensstil lässt das mehr zu als im Alltag, finde ich. Vielleicht durch den Zeitfaktor, vielleicht durch die andauernde Konfrontation mit sich in der Fremde, vielleicht durch sich mehr ausleben können/ weniger Anpassung. Eine gute Kenntnis von sich zu haben, lässt einen viel meistern.

 

In Belastungssituationen ist es herausfordernd, bei sich zu bleiben und Ruhe reinzubringen. Man merkt manchmal nicht mehr, was wesentlich ist. Obwohl man es doch weiß, aber wenn man mittendrin steckt… Dieser plötzliche Verlust, die Sterbebegleitung von unserem jungen, fidelen Blue hat uns nie geahnte Anforderungen und Kraftentwicklung gebracht.

Obwohl wir nicht viel von Pakistan selbst mitgekriegt haben, haben wir ordentlich gelernt. Nicht nur mit plötzlichem Schrecken umzugehen, insgesamt war die Durchreise für uns reich an Erlebnissen, die man nicht erwartet.

 

Wir hatten also zu knapsen an unserer Erwartungshaltung.

Wir dachten, wir wissen, was auf uns zukommt.

Wir hatten uns informiert, eingeschätzt.

Mit unserem Wissen gedacht. Mit unserem Denken gewusst.

Aber alles Denken und Wissen ist eben nichts.

Das Uneinschätzbare kommt mit fremden Gebräuchen auf dich zu.

Und wird erschwert durch unsere Bewertung.

 

Wir dachten, die Polizeieskorte lässt uns nach Belutschistan frei. Haben sie nicht. Hätten wir all das Trara eher angenommen, hätten wir einen entspannteren Weg mit der dauernden Kalaschnikowbegleitung gefunden. Hätten wir gewusst wie wir uns der Eskorte gegenüber durchsetzen, um unsere Bedürfnisse zu erreichen! Natürlich lernten wir erst mit der Zeit, mit der anderen Mentalität umzugehen. Zum Schluss haben wir mehrere Fluchtversuche unternommen, weil wir uns nicht mehr von ihnen treiben lassen wollten. Erschöpft kamen wir in der Smogstadt Lahore an, zum Wäschewaschen und Schmackhaftes einkaufen. Wir hätten nach der Eskorte eher Freilauf statt Stadt gebraucht. Zur Mitte finden. In der Stadt fanden wir die Mitte nicht, bekamen dazu noch einen Magendarminfekt. Und in dem Moment als wir die Stadt endlich verlassen wollten, änderte sich alles und wir verloren ein Mitglied unseres engen Reiseteams, unserer Familie. Den Rest der Geschichte kennt ihr und will ich nicht wiederholen. Das hier beschreibt nur die Ausgangslage.

 

Im Nachhinein, im Reflektieren, nachdem der Schock gesackt ist, sieht man die Situation mit Abstand. Wir reflektieren, dass wir zu schnelles Tempo hatten und dass die angespannte Stimmung aufgrund der Rahmenbedingungen in Kombi mit negativer Bewertung ihren Teil dazu beitrug.

 

Natürlich weiß man im Nachhinein alles besser (ironisch gemeint) und denkt, am besten wir hätten diese Reise nie angetreten. Obwohl die Reise mit sämtlichen Erfahrungen und Begegnungen gut verlief, setzte uns die politische Situation im Iran und Pakistan unter Spannung. Eine Reise ist in gewissen Ländern Stressfaktor für das Team. Reisen ist für Hunde nicht ungefährlich, ob Giftköder, giftige Tiere, Fallen, extremer asiatischer Verkehr. Trotzdem wissen wir, es hätte überall was passieren können. Die Kombi macht‘s. Die Kombi von inneren und äußeren Faktoren.

Und dann ist es so.

 

Resumee: Man wächst an den Geschehnissen. Herz wächst. Kraft wächst. 

 

Nun unsere Pakistandurchfahrung ...

 

Gleich an der iranisch-pakistanischen Grenze wird man von der Polizei geleitet. Zwei Nächte verbrachten wir im Hof einer Polizeistation, bis unsere Eskorte losging in Richtung Osten, durch Belutschistan. Das ist die Provinz, in der Ausländer beschützt begleitet werden mit Polizeieskorte. Sie zieht sich bis hinter die Stadt Quetta, parallel zur afghanischen Grenze entlang, die ist aber mindestens 50 km entfernt. Wüstiges Gebiet. Diese Eskorte gibt es seit Jahren. Wir werden viele Registrierungen und Wachwechsel haben.

 

Am ersten entspannten Tag im Polizeirevier, das wir noch nicht mal zum Gassigehen verlassen dürfen, nutze ich die Zeit zum Wäsche waschen. Mit Hand natürlich. Und mit wenig Wasser vor Ort. Aber wir haben vorher im Iran an einer Wasserstelle aufgetankt, zu der die iranischen Wüstenbewohner mit Kanistern kommen. Die Eskorte geht erst am nächsten Tag los wegen politischer Unruhen im anderen Teil des Landes. Der Polizist besorgt uns auf Bestellung Obst und eine Mausefalle, denn er weiß, dass wir einen illegalen Einwanderer aus der Türkei mitgebracht haben. Natürlich möchte er die Maus kriegen, scherzt der freundliche Mann. 

 

Am nächsten Tag geht’s los. Ab auf die Straße. Als einziges begleitetes Fahrzeug. Es sind keine anderen Reisefahrzeuge zum selben Zeitpunkt mit uns, aber Manuel ist auch da, der deutsche Radler, den wir in der iranischen Wüste überholten. Aufgrund der Unruhen im Ostiran fuhr er die Reststrecke per LKW mit. Nun nehmen wir ihn mit. Das ist gut, denn es lockert auf jemanden dabei zu haben und das Neue gemeinsam aufzunehmen. Hier startet der Linksverkehr, in dem man sich in dem kargen Gebiet mit wenig Verkehr gut eingewöhnen kann. In der Grenzregion wird viel Diesel gehandelt. Und es gibt so hübsche, riesige bunte Lastwägen. Kunstwerke, jeder ganz individuell bunt bemalt. Zauberhaft! Um uns weite Landschaft. Einige Hügel hier und da, einige Sandberge. Der erste Fahrtag ist noch relativ entspannt, wenig Stopps im Vergleich zu den Folgetagen, nur fünf, und um die 300 Kilometer schaffen wir. Bei den Stopps müssen wir immer unsere Pässe zeigen, Nummern eintragen, ständig Fotos machen und hin und wieder Chaitee trinken. Alles uneinschätzbar: Wann ein Stopp, wie lange die Pause und wie lange wir abends überhaupt fahren.

 

Die Polizeibegleitung nennt sich auf dem Land Levis, in der Stadt Polizei, manchmal Spezialpolizei, in jedem Bezirk wird gewechselt. Vor uns fahren sie, mit ihren Kalschnikows im Arm. Wir gewöhnen uns, dass die Dinger regelmäßig beim Tragen auf uns zeigen, stets Finger am Abzug. Die Gegend ist in den letzten Jahren sicherer. Polizei und Militär sind präsenter als zuvor und Überfälle durch die Taliban geringer.

 

 

Von Tag zu Tag nehmen die Zwischenstopps zu, wir wissen nie, wie lange wir durchfahren, manchmal sind es nur 5 Minuten bis zum nächsten Stopp. Die Stopps dauern von 5 Minuten bis über eine Stunde, keiner kann uns sagen wann es weiter geht, deshalb können wir auch nicht kochen und anderes machen, was Zeit beansprucht. Wir kommen dadurch sehr langsam vorwärts. Immer Pass, Visa, Eskortenpapier-Check und Eintragungen (wir tragen meist selbst ein, geht schneller, aber bringt eh nichts, wichtig ist den Wachwechslern auch der freundschaftliche Austausch untereinander).

Die Kalaschnikow, das Ding, das Leben zerstört, Liebe zerstört, uns schützen soll. Letzteres sagen unsere Aufpasser immer wieder. Sie betonen und betonen, dass sie auf uns aufpassen. Für uns kein Schritt ohne Polizei und Knarre. Ich mag das Ding nicht berühren, reizt mich gar nicht. Noah, der sich sowieso für Schussgeräte interessiert, schon. Er posiert fürs typische Foto, das viele Reisende machen lassen: Ich mit Kalaschnikow. Nicht meins.

 

In einem Polizeiquartier sollen wir parken nachts, direkt am Stachelzaun neben den Gefängnisinsassen, die uns interessiert ansehen. Verwandte versorgen sie mit Essen. Wir sagen, wir wollen lieber vor der Station draußen schlafen. Machen wir. Neben uns im Wagen die Beschützer mit Waffe zur Hand. Abends spielen die Jungs noch auf dem benachbarten Schrottplatz mit Welpen und die Polizei besorgt für uns Restaurantessen in Tüten – so genießen wir auf unseren Campingstühlen in der pakistanischen Wüste in irgendeinem kleinen Dorf vor der Polizeistation das erste Mal leckeres pakistanisches Essen. Herrlich!

 

Alle Polizisten begegnen uns durchweg freudig und freundlich. Nur somit begegnet uns auch die andere Mentalität. Wir verstehen das Procedere nicht. Wir wollen weiter. Genau das ist uneinschätzbar. Sie bestimmen komplett wie und wann wir uns bewegen sollen. Kein Schritt ohne sie. Kein Schritt ohne Waffenbegleitung. Zum Eierstand. Samosa am Straßenrand kaufen. Zum Kamele streicheln. „Wir stehen in eurem Dienst, wir sind in eurer Pflicht!“, wiederholen sie freundlich. Immer neue Polizisten, die Wechsel zählen wir schon lange nicht mehr. Sie jagen für uns Autos und Leute aus dem Weg, obwohl wir das gar nicht wollen. Beginnend können wir noch mitteilen, was wir benötigen, einkaufen müssen, sie sorgen dafür, unter skurillsten Umständen, dass wir zu unseren Dingen kommen. Ob es in Quetta eine Fahrt auf verschiedenen Verkehrsmitteln hinten drauf ist, Übergabe an andere Bezirkspolizisten inklusive, lange Absprachen welcher Gemüsehändler für uns geeignet wäre,… In Quetta müssen wir ein wichtiges Papier besorgen für die Durchreise. Und Simkarten. Leider sind wir die, bei denen die Simkarte nicht funktioniert. Bei dne anderen Reisenden, die ab Quetta mit uns weiter reisen, funktionieren die Karten. Blöd, weil wir einen Arbeits- und Lernalltag haben und das Internet dafür nutzen. Ging ja eh lange nicht im Iran. Nach Quetta geht es weiter. Nun haben wir eine mongolische Reisefamilie mit dabei. Auch nach der Grenze geht es weiter. Hinter Belutschistan. Es hört nicht mehr auf. Wir werden nicht alleine gelassen. „Überall ist es gefährlich!“, sagen sie uns. Wir sitzen im goldenen Käfig.

 

Die Situation wird statt einschätzbarer Richtung erwartetem Ende uneinschätzbarer. Schlimm ist es nicht, aber wir sind erschöpft. Wir machen alles die ersten Tage noch mit, am dritten Tag erreichen wir Quetta. Die Kinder wollen irgendwann keine Fotos mehr machen, wenn die Polizisten ihre Handys zücken. Aber sie sollen. Bei jedem Wechsel werden wir auf diese Art registriert. Weil Fotos von uns als Familie und mit Fahrzeug nötig sind. Es wird nicht verstanden, dass die Kinder die ewigen Fotos nicht mehr wollen. Es wird nicht verstanden, warum wir zügig vorwärts kommen wollen.  Wir möchten selbstbestimmt reisen und Zeit nehmen zum Arbeiten, zum Homeschooling und zum Land entdecken. Das sagen wir alles, aber verstehen sie nicht. Wir beginnen zu meckern, reagieren genervter, sagen, wir wollen alleine weiter. Aber schlechte Laune und weigern waren noch nie gute Helfer. Dauernd neue Polizisten, dauernd neue Menschen, die vor uns die Knarren auf uns richten (wenn auch aus friedlicher Absicht und unbedacht). Manchmal können wir nur noch lachen, so seltsam sind einige Momente. Was uns noch hilft ist Werner. Ja, der norddeutsche Werner. Der alte Film von damals. Werner Beinhart. Der wird geschaut und bringt absolute Wernerfans, Finni, Noah und Manuel sind begeistert. Lachen und Ablenkung mit Werner - einfach saugut!

 

Irgendwann wird nicht mehr gehalten, wenn wir Einkäufe machen müssen. Als die Kinder das Essen nicht gut vertragen, bitte ich an Apfelständen anzuhalten, wir passieren ca. 10 Stück, auf Nachfrage, nein, die seien alle nicht gut, sie leiten uns zu einem Hotel, dort könne ich Äpfel kaufen. Natürlich gibt es dort keine, nur Küche. Sie verstehen uns einfach nicht. Sie bestimmen, wo wir bleiben und was wir machen. Parallel dazu fahren einige wahnsinnig vor uns her. Wir kriegen nie verlässlich gesagt wie lange wir noch fahren und obwohl wir nicht im Dunkeln fahren wollen, fahren sie im Dunkeln. Im Affenzahn. Durch die Berge, über die abgerissenen Straßen der Fluten, durch unebenes Gelände. Wir sehen zum Glück nicht wie steil es neben uns ist. Halsbrecherisches Tempo! Nach beschützter Fahrt sieht das nicht aus!

Schade, wie gerne würden wir Pakistan in Ruhe erkunden! Was wären das für Eindrücke! Pakistan fliegt an uns vorbei und wir sehen immer nur einen Pick Up mit sitzenden Polizisten mit ihren Knarren im Arm vor uns.

Auch wenn sie sich so wirklich bemühen auf uns aufzupassen, es ist wie im Gefängnis, als seien wir Gefangene. Darin sind wir alle uns einig, die mongolische Familie sagt das genauso wie wir. Aber die Polzisten verstehen uns nicht. Nur wenige sprechen englisch und wenn, dann verstehen sie dieses Argument nicht, sie sind ja unsere Beschützer. Einige sagen, jetzt bald werden wir entlassen. Einige sagen, sie bringen uns bis Lahore, dem Grenzort zu Indien. Jeder sagt was anderes.

 

Ich versuche zu vermitteln, wie die dauerhafte Begleitung für uns ist, bitte Sie, mir Handschellen anzulegen – sie gucken unverständlich. Ein Knast mit unsichtbaren Fesseln - Freiheit winkt für uns in Pakistan nicht unbedingt! Wir wollen das Land so schnell wie möglich verlassen. Andere Reisende erzählten von alleiniger Weiterfahrt ab der nächsten Stadt nachdem Belutschistan verlassen war. Das war bei uns nicht so. Sie lassen uns einfach nicht los.

 

Wir alle haben die Schnauze voll, und dann fahren wir der Eskorte davon, wir warten den Wechsel nicht ab. Die mongolische Familie macht mit. Im Dunkeln fahren wir alleine weiter, suchen schließlich einen Parkplatz bei einem Hotel über die Stellplatz-App „I-Overlander“.

Natürlich wecke ich beim Hineinkommen einen schlafenden Polizisten mit seinem angewachsenen Knarrenfreund im Arm. Kein Hotel ohne Polizei hier. Dabei ist die Lage in den letzten Jahren beruhigter! Jetzt sind wir also wieder unter ihren Fittichen.

 

Trotz allem kommen Taliban zu uns in den Bus. Zwei freundlich lächelnde junge Männer sind neugierig, schauen rein und stellen sich als Taliban vor. Ich bin sehr überrascht! Ich lerne: Taliban ist eine Volksgruppe und nicht jeder Taliban ist mit der Terrororganisation gleichzusetzen!

 

Mittlerweile können wir zumindest einschätzen, dass klare, verlässliche Antworten auf unsere Fragen ausbleiben und mittlerweile halten wir meist einfach an, wenn wir was brauchen. Das stresst sie wiederum, sie fahren zurück zu uns, schwingen sich schnell mit ihren Kalschnikows zu uns zum Gemüsestand, in den Tankstellenshop oder in die Bank. Dass wir unser Simkartenproblem haben, wird nicht ernst genommen und so halten sie nicht an dem entsprechenden Geschäft, obwohl wir sie darum baten. So müssen wir extra nochmal dahin zurück fahren.

 

In einer Stadt soll es dann laut Aussage einiger Polizisten dann tatsächlich so sein, dass sie uns frei lassen. Manuel macht sein Rad fahrbereit, aber die Abfahrt erlauben sie ihm doch nicht. Auch wir dürfen nicht starten. Aber wir fahren los. Denn die Warterei auf sie dauert wieder so lange! Das ist der Punkt, Simon möchte arbeiten und will sich nicht mehr auf ewige Warterei einlassen, während sie entspannt rumstehen oder Tee trinken.

 

Wir brechen aus. Fahren einfach weg. Leider ohne Abschied von unseren Reisepartnern, die in andere Richtungen weitermüssen. Wir fahren kleine Straßen, und dann kommen sie uns hinterher. Von jetzt an folgen sie uns. 

Wir müssen einkaufen und essen besorgen, die Jungs haben einen Magendarminfekt, gespuckt wurde auch noch während der schnellen Fahrt, als wir hinter ihnen herhechteten. Wir halten weiterhin an, wo wir wollen und wann wir wollen. Sie halten dann auch an. Und machen auch mal fliegenden Wechsel. Ab jetzt geht es zügiger voran. Innerlich setzt uns das unter Druck, wir werden weiterhin nicht aus den Augen gelassen. Dieses Mal vom Spezialtrupp.

 

Wir suchen einen Naturplatz. Der Polizeichef über Telefon ist damit „not satisfied“ und reist selbst an, um uns zu überzeugen, dass wir bitte bei der Polizeistation übernachten. Er hämmert an unsere Wand. Aber wir brauchen nach einer Woche Stressfahren einen Spaziergang für die Jungs und für Blue. Die Jungs, Blue und ich laufen zum nächsten Bauernhof, während Simon arbeitet. Im Schlepptau fünf bewaffnete Polizisten. Alle nett, wenn auch genervt von unserem Verhalten, ich kann sie aber nicht mehr ernst nehmen. Schon längst sind wir nicht mehr im gefährlichen Teil Pakistans unterwegs, andere Reisende waren hier frei. Von was es abhängig ist, dass die einen eher, die anderen später entlassen werden, wissen wir nicht. Sie kennen den Bauern, trinken Chai mit ihm und freuen sich, dass wir Freude haben, die Kamele beim Melken zu sehen. Abends übernachten Polizisten im Auto neben uns. Wir verstehen das nicht, bei uns machen sie so ein Theater. Lahore, die Stadt, die fast an Indien grenzt, ist nicht mehr weit. Dabei brauchen gerade wir die Ruhe. Wir haben unterwegs einen Alltag auf Reisen, anders als die meisten anderen Reisenden, es ist unser Lebensstil, wir arbeiten und lernen regelmäßig mit unseren älteren Kindern, aber das können wir ihnen nicht vermitteln, sie verstehen es nicht.

 

Immerhin haben wir im Gegensatz zum Iran auf der gesamten Pakistanstrecke kaum Probleme mit dem Auto. Einige Probleme lagen an der schlechten Dieselqualität im Iran. Wir warten darauf dass unser Starter ausfällt, aber Simon meint „Der geht jetzt nicht kaputt. Der hält jetzt einfach noch. Fertig!“ Unsere Schiebetür geht auch nur mit Ach und Krach. Das Rad von Manuel mussten wir öfter mitnehmen und hat unsere Badtür eingedrückt. Also kleinere Baustellen. Richten wir dann in Lahore, während der Wäsche, die wir seit der Türkei nicht wuschen.

 

Am nächsten Tag fahren wir weiter. Selbstbestimmend. Nach Navi. Die Polizei will, dass wir einen anderen Weg nehmen. Einen Umweg. Wir aber nicht. Dadurch, dass wir ihnen folgten, haben wir bereits einen großen Umweg in Pakistan gemacht. Wir fahren weiter. Ihnen davon. Nebenstraßen, noch kleinere Straßen, weg sind wir. Sie folgen nicht. Vielleicht ein nicht zuständiger Bezirk für die letzten Polizisten?

 

Jetzt sind wir - frei.

Was war das noch, Freiheit? Erst jetzt können wir atmen.

Nach acht Tagen Polizeieskorte.

 

Wir verbringen eine wunderbare Nacht auf einem Feld, sofort kommen die umliegenden Bauern und Dorfleute, bringen eine Pfeife für Simon mit und freuen sich, dass wir da sind.

Von der Landidylle, die nicht wirklich so idyllisch ist wie in Europa, weil ständig jemand gucken will, fahren wir am nächsten Tag eine megamoderne, super geteerte Autobahn direkt nach Lahore.

 

Freie Fahrt. Freies Sein.

Frei!

Wir sind nicht wirklich frei.

Freiheit ist eine Illusion. Sie entsteht im Kopf. Wir sind gefangen in uns selbst. Wir machen unsere Freiheit im Kopf.

Wir wollten alle selbstbestimmt sein, hielten die Fesseln nicht aus. Ist es besser blind in die Freiheit zu rennen?

Blue war genauso wie wir.

Wie sinnig Anpassung sein kann. Ich weiß eigentlich nicht genau, was wir lernten. Pakistan hat mein Hirn umgepustet. Ist jetzt im Neuaufbau.

 

Der Umgang der Eskorte war eine Sache.

In Lahore kommen wir an und stehen sofort fest im fetten Stauchaos. Blue hat wie immer seinen Kopf neben Simon am Fenstersims und genießt das bisschen Luft, der Stadtmief hat ein eigenes Flair.

 

Die ersten Tage sind - nach zäher Stellplatzsuche bis wir im Hinterhof eines Hotels landen - ganz nett. Wir bringen unsere Wäsche weg, seit der Türkei das erste Mal. Wir machen die erste Rikschafahrt. Wir staunen über all die Eindrücke. Kamele, Blütenverkäufe, bunteste Kleider, Einladungen zum Essen, auf dem Boden kriechende Bettler, bettelnde Kinder, die Andersartigkeit, die Düfte. Erschöpft in dieser anderstickenden Stadtwelt angelangt, sind wir jetzt eingenommen mit allen Sinnen. Und dann werden wir krank. Magendarm. Halten ein paar Nächte im heftigsten Smog aus. Warum auch immer. Und dann, just vor Abfahrt aus der Stadt, stirbt unser geliebter Blue.

 

In dem schlimmen Moment erlebten wir auch sehr viel Glück. Wir hatten Pakistaner an der Seite, die uns nicht alleine ließen, die sich um uns kümmerten, weil sie wussten, bei uns wurde gerade die Welt verdreht. Fremde, die super mitfühlend, immens hilfsbereit waren, sie versorgten uns von sich aus mit Essen, sie besorgten alles, nach was wir fragten. Sogar die gewünschten Blumen fürs Feuer. 


Sonntag, 4. Dezember 2022 - schon in Indien am Indischen Ozean 

 

IRAN TEIL 2

Im Dunkel der Nacht

 

Es ist abends geworden. Wir haben es gerade so geschafft unseren Platz zu erreichen, einen Kilometer vorher machte sich ein Geräusch unter uns beim Fahren - ein Geräusch, das nicht gut klingt - nochmal bemerkbar. Vorhin bei voller Fahrt klang es, als sei Metall gebrochen, oder Simon über irgendwas drüber gefahren. Dann war wieder nichts und wir fuhren zügig normal weiter. Jetzt leuchtet er am Straßenrand nach der Ursache – tatsächlich ist der Getriebehalter gebrochen! „Our Old Lady Fidibus“ hat immer mal wieder Wehwehchen (kein Grund für uns, unserem Fidibus nicht für eine lange Reise zu vertrauen).

Den letzten Kilometer kriechen wir also. Bis zum Stellplatz neben einer Kleinstadt. Dort schaut Simon sich die Lage unterm Fahrzeug genau an.

Währenddessen werden wir beschallt von lauter iranischer Musik. Nur hundert Meter entfernt feiern ein Dutzend junge Leute. Ja, feiern. Sie tanzen. Alle zusammen, Männer und Frauen. Um ihre Autos, wild, wie wir es aus Diskos kennen.

Nach einer halben Stunde hören sie auf, kommen an uns vorbei gefahren, sehen uns mit Taschenlampen unter dem Fahrzeug, halten an. „Do you need help?“ Eine junge Frau, angezogen wie gewohnt in westlichen Ländern, und ohne Kopftuch, kommt zu Simon. Ihr Partner, rasierter Kopf und kein Bart, kommt dazu. Überall bieten die freundlichen Iraner ihre Hilfe an. Aber hier müssen wir alleine ran. Auch ich komme raus – so wie ich bin, western style, ohne Kopftuch – wir reden eine Weile, ganz normal. So stehen wir da, im Dunkel der Nacht, im Schutz der Nacht. Im Iran.

 

Als Reisende halten wir uns zum Eigenschutz an einiges. Keine politischen Äußerungen, Dresscode einhalten, wenn es einen gibt. Hier gibt es einen, mir als Frau hab ich extra vorher Kleidung besorgt. Für mich ist es unangenehm – sehr gewöhnungsbedürftig. Ich muss immer dran denken, und ständig so ein Getüddel am Körper, bin ich doch gerne praktisch unterwegs. Musste erst rausfinden, wie das Kopftuch nicht runterrutscht und ich beim Einsteigen nicht über das Kleid stolpere. Als Mann ist man unauffällig mit Bart und Schnauzer, als Frau mit Kopftuch und weiter Kleidung, Hand- und Fussknöchel sollen bedeckt sein.

 

Ich werde nun erst über einige Szenen berichten, die aktuell zu unserer Reisezeit im Oktober bis November 2022 in dem eindrucksvollen Land abgehen.

Die Situation berührt uns. Aber für uns als Familie ist die aktuelle Situation kein Grund gewesen, nicht durch den Iran zu fahren. Wir haben auch keinen annährend auffälligen Moment für uns selbst erlebt, im Gegenteil, wir begegnen unterwegs den Menschen, ein Volk, das uns stets liebevoll und offenherzig, wie wir es zuvor noch nicht erlebten, empfängt. Muslimische Gastfreundlichkeit und mehr.

Egal, wo wir sind auf der Welt, es sind immer Mensch-zu-Mensch-Begegnungen. Sie sind ähnlich, klar: verschiedene Mentalitäten, Lebensarten, Kulturprägungen. Im Laufe der Zeit haben wir ein gewisses Vertrauen entwickelt, verbunden mit Gespür. Wir vertrauen den Menschbegegnungen, aber politischen Lagen nicht. Somit birgt das ein gewisses Risiko. Deshalb achteten wir darauf, wie wir unsere Iran-Route planen: Kleine Straßen, keinesfalls große Städte, vor allem nicht näher an Teheran und Zahedan, dort sind die größten Aufstände. Und zügig durch (das muss nicht unbedingt sein). Achten, wo nächtigen und wo Fotos machen.

 

Beinahe jeder, dem wir begegnen, ob Gemüsehändler, Imbissangestellter, Mechaniker,… gibt sofort ein Kommentar zur Politik. „Die Regierung ist gegen uns, gegen das Volk“, „Die Regierung tötet unsere Leute“, „Das Land befindet sich in Revolution!“, „You`re here in a special time for this country, special for all women, its revolution time!“

 

„Es ist etwas Besonderes, dass ihr zu dieser Zeit durch den Iran reist. Danke für euren Mut und euer Vertrauen!“, sagt mir eine Frau im Lizard-Park, die ihren Job verloren hat, weil sie im Tourismus arbeitet und sich die Touristen kaum noch trauen zu kommen. Ich finde, ja, genauso ist es, ich zeige Anteilnahme, indem ich trotzdem in das Land reise und vertraue. Auch wenn ich mich dabei den „Noch“-Sitten anpasse. Wir sehen immer wieder Frauen ohne Kopftücher auf den Straßen, die meisten haben es halb auf dem Kopf sitzen.

Das Leben geht weiter, auch inmitten der Revolution. Ist es eine? Es herrscht nicht nur Anspannung, sondern auch gewohnte Normalität. Wir merken beides. Wir fühlen uns wohl, weil die Menschen uns täglich überall sehr freundlich und aufgeschlossen begegnen. Das wirkt fast wie ein „Schutz“. Abgesehen davon verhalten sich uns gegenüber die Polizisten auch sehr freundlich, bei den Kontrollen winken sie uns generell durch, scheinen nicht interessiert. Sie lächeln uns an, freudig und fast wie die Fahrer auf den Straßen, die uns anhupen und zuwinken, einfach nur, weil wir vorbei fahren. Nur zwei Polizeikontrollen haben wir, eine strengere bei Zahedan.

 

Ja, Zahedan.

 

Wir waren nicht in der Stadt, aber wir mussten daran vorbei. Es ist die letzte Stadt vor der pakistanischen Grenze, hinter der Wüste Lut.

 

Zahedan ist eine große Unistadt im Iran, bekannt für viele Demos.

An dem Tag, an dem wir Zahedan auf der Umgehungsstraße passieren, werden 15 Menschen erschossen. In der Stadt bei einer Demo.

Wir sehen im Vorbeifahren die Straßensperren, Leute aus dem Nachbardorf erzählen es uns einen Tag später.

Eigentlich suchten wir eine Tankstelle bei Zahedan, aber die waren alle so überfüllt von LKWs, dass wir nicht warten wollten und lieber weiter fuhren.

 

So nah am Geschehen dran zu sein, es direkt neben sich zu haben, was da passierte, nahm uns mit.

Die Gegend dort war voll Polizeikontrollen.

 

Wir kennen mehrere Reisende, denen es allen gut geht im Iran. Trotzdem kann man nicht sicher sagen, wie die Situation für Einzelne ist. Als Familie durchzureisen und Krisenorte zu meiden sind zwei Faktoren, die uns das gute Durchkommen sicherlich erleichtern.

 

Wir waren nicht froh, den Iran hinter uns zu lassen. Nur erleichtert.

Wir lieben den Iran. Den Zauber von 1001 Nacht. Die herzvollen Begegnungen. Die Landschaft. Auch wenn wir wissen, dass wir dort nicht wohnen wollen. Das Grün fehlt. Und das Nasse. Bei längerem Weltreiseleben weiß man mit der Zeit, was man für sich will, was passt, was fehlt, was man vermisst, was man gerne haben möchte - wenn man sich auf einen Ort einlässt, den man sich als Base sucht. Die Heimat, in die man geboren ist, macht viel aus. Aber das ist ein eigenes Thema für sich, über das ich gerne ausführlicher schreibe.

Wüste gehört auch nicht zu uns. Aber sie ist toll – durchzufahren!

 

Erstmal fahren wir in die Wüste Lut rein, um nach 30 km wieder umzudrehen. Unser Tankstand reicht nicht. Für die nächsten 300 km kommt keine Tankstelle!

 

Die Wüste Lut ist eine der heißesten Gegenden der Welt, der Boden misst im Sommer über 70 Grad. Als wir durchfahren ist es kühler und windig. Wir sehen Kamele! Und wir überholen Manuel! Der junge, deutsche Radler frohen Mutes, gelassen, aber zügig einmal um die Welt, hält an und während die wüstenquerenden LKWS an uns vorbeirauschen, reden wir. Nichtahnend, dass wir bald schon zusammenziehen und skurrile Situationen gemeinsam durchstehen werden.

Vor der Wüste haben wir die Städte Kashan und Yazd angeschaut. Gegen Isfahan hatten wir uns entschieden, obwohl wir schon am Rand parkten. Nach Citysightseeing war keinem wirklich von uns. Wir hatten Lust auf kleinere Städte, lieber Basar den in Kashan. Und in Yazd, einer der ältesten Städte des Irans, wandern wir durch das Altstadt-Gassenlabyrinth, gehört zum Unesco-Kulturerbe. Hier wird traditionell Kaffee zubereitet, mit Kardamom und Rose, ein weicher, süßer Geschmack. Erst musste Simon uns wieder in den Gassen festfahren – uns schon bekannt aus der Medina von Marrakesch. Es ging nur noch rückwärts mit Hilfe raus. Natürlich haben wir von den besten Szenen - wie es sich gehört - keine Aufnahmen, die sind einfach zu aufregend oder schön als an die Kameras zu denken.

Wir fuhren viel. Fahrtrott.

Iran und Pakistan sollen nur Durchreiseländer sein, und wir wollen erstmal zügig nach Goa fahren, um dort noch die „season“ zu erwischen. Internet im Iran funktioniert fast gar nicht, bei mir gingen gar keine sozialen Medien, womit ich kein Problem habe, sondern die Pause auch genoss, bei Simon mit speziellen VPN-Kanälen ging etwas mehr. Die VPNs bringen nur was, wenn man sie vor dem Iran installiert. Die Jungs haben sich einiges runtergeladen, lauschen Hörspielen auf langen Strecken wenn es draußen nicht gerade spannend ist.

 

Wir fahren übrigens alleine. Was wir eigentlich nicht wollten. Aber es ist dann doch schwer passende Familien zu finden, die im gleichen Tempo unterwegs sind. Viele wollen sich Zeit lassen in den Ländern und wir wollen zügig in Goa sein (Ortsruhe!). Wir wissen auch, dass man sich mit dem Erfüllen seiner Pläne nicht auf andere verlassen kann, nicht selten springen dann doch welche ab oder verändern ihren Plan. Es ist schöner mit anderen, völlig klar, aber wir sind das Alleinereisen von Ort zu Ort gewohnt und wissen, wir wollen nach Indien Overland. Oft haben wir als Familie darüber gesprochen, ob wir das wirklich alle wollen und die Antwort war eindeutig. Ich bin am ehesten diejenige, die zweifelt, ob so eine lange Reise sinnvoll ist. Die Jungs kennen es und sind diesen Lebensstil, Freiheit und Selbstentfaltung gewohnt, dass sie sich eher schwer anderes vorstellen können. Für soziale Kontakte wollen wir zügig in Indien an den Orten sein, die wir kennen, wo es internationale Kinderkontakte gibt. Es würde uns allen sicherlich besser tun, wenn wir auf Reisen mehr Menschen um uns haben, mit denen wir unser Leben teilen können, live. Das ist ein doofes Manko beim Weltentdecken auf unsere Art, ständig mit sich zusammen. 24/7, das ganze Jahr. Wow. Und trotzdem machen wir das. Alles dafür: das klein zusammengepfercht leben, sich dem Stress des Unbekannten und spontaner Orga aussetzen, keine ausgetretenen Pfade gehen was Schule betrifft, mit Minimalem auskommen, auf Einiges verzichten, auf regelmäßige soziale Kontakte und Komfort. Verzicht (in Maßen) kann reich machen, Unbekanntes kann Freund, Freud und vor allem ein-geschätzt werden, eng leben kann Nähe bringen, ein Leben ohne vorgefertigten Rahmen kann Kreativität, Selbsterkenntnis und Stärke mit sich bringen, kennenzulernen wie es ist mit sich zusammen zu sein und mal nicht alles zu haben, kann Zurechtkommen mit sich und dem, was man hat, bringen. Alles in Maßen ist gesund. Und zwischendrin lernen wir trotzdem jede Menge Menschen kennen und die, wo es sein soll, bleiben. Und die, die uns besuchen, besuchen uns. Oder wir besuchen mal zurück in der Heimat. Geht alles. Man merkt unterwegs wie treu die Freundschaften und Kontakte sind, einige werden inniger, andere sagen gar nichts mehr und das zeigt, wie man verbunden ist oder eben nicht – so wie es ist, authentisch ehrlich. Wir haben also unsere Herzensmenschen mit dabei, sie wissen, wer gemeint ist und dass sie ein großes Geschenk sind für uns, weil wir doch gerade wesentliche Situationen teilen. Da ist die Verbindung über egal welche Distanz. Gilt übrigens nicht nur für uns Große. Und die Jungs jammern auch nicht, dass sie soziale Kontakte vermissen. Sonst wäre das kein Unternehmen. Langeweile merken wir gelegentlich an, da werden wir Eltern dann unruhig, dass mehr Input/was anderes gebraucht wird.

 

…etwas abgedriftet vom Iran rein ins Familienreiseleben.

 

 

Insgesamt waren wir übrigens nur 12 Tage im Iran. Circa 2500 km. 


Freitag, 4.November 2022 - Wüste Lut, Ostiran

 

IRAN TEIL 1

An der Grenze

Der Eingang der iranischen Grenzseite hinter dem Gang ist verschlossen. Finni winkt in die Kamera und die Grenzbeamten hinter der Glastür lachen, dann lassen sie uns rein in die Empfangshalle. Pässe abgeben, Visa auf dem Zettel vorlegen. Der freundliche Mann trägt unsere Daten in eine Tabelle ins Buch ein, von rechts nach links in einer uns unbekannten Schrift geschrieben. Finni beobachtet ihn und er zeigt ihm das Buch.

Als er fertig hat, lächelt er und sagt „Welcome to Iran!“

Das wars. Wir sind drin. Mehr Check ist nicht gewollt, die Dame winkt uns lächelnd durch den Scan. Jetzt müssen wir draussen Simon finden, der mit unserem Fidibus alleine rüberfahren sollte. Draußen ist es dunkel, und kalt. „Toman, Rial?“ werde ich gefragt, aber ich lasse auch das Geld wechseln auf später, denn wir haben einen „Grenzfixer“ bestellt, der uns bei sowas hilft. Da erkenne ich ihn auch schon bei Simon am Fahrzeug, aber wir dürfen nicht hin, also warten wir auf den Bänken der Wartehalle, Fährterminal- oder Flughafenatmosphäre, nur etwas abgeschrabbelt.

15 Minuten später gehen wir nochmal gucken, Simon ist mittlerweile vorgefahren, verschiedene Leute, verschiedene Fragen. Es wird nur einmal von der Tür in unseren Fidibus geschaut, nach dem Hundeausweis gefragt, nach dem Covidzertifikat. Das Carnet, unser Autoreisepapier, wird eingetragen. Alles wäre sicher gut möglich ohne Fixerhilfe gewesen, für uns ist es nun nach zwei Tagen Türkeiausreisestress entspannt, die Sachen erledigen zu lassen.

 

Wenig später folgen wir unserem „Fixer“ und dem „Helfeshelfer“ in seinem Auto in die nächste Stadt. Urmia. Er hat angeboten, dass wir in seinem Garten zu übernachten für 10 Dollar, auch das ist jetzt super, da wir nicht nach nächtlicher Einreise in ein neues Land noch ein Nachtlager finden müssen. Erst gibt’s Chai, und treffen zwei andere reisende Fahrzeuge dabei, ein Schweizer Pärchen und ein Ulmer auf dem Motorrad, alle mit anderen Zielen (Australien, Südafrika). Prima, ist doch immer schön, so eine Neulandsituation mit anderen zu teilen. Wir fahren später weiter zum Garten. Großes Staunen als es im Villenviertel der Leuchtenste, mit Gold verzierteste mit großem Gartentor ist. Dahinter: Rasen und Ruhe. Genau, was wir brauchen. Die Jungs und Blue sind superaufgedreht, die Anspannung der letzten Tage muss raus, austoben, dann rein. Am Morgen nochmal austauschen mit den anderen Reisenden, Geld im Tante-Emma-Laden hinter Bohnensäcken wechseln und Simkarten besorgen. Gegen Mittag sind wir fahrbereit.

Es geht los

Unser Plan: Viel Strecke machen, große Städte meiden, über Landstraßen durchs Landesinnere.

Aaaaber… sobald wir starten, macht sich die Einspritzdüse bemerkbar. Motor geht bei Belastung aus. Damit haben wir schon Erfahrung, somit eine Ersatzdüse mit. Als das Fahren mit ständigem Ausgehen keinen Spaß mehr macht, halten wir inmitten von Apfelwiesen und Simon beginnt zu wechseln. Diese paar Stunden könnten genauso gut in der Südtiroler Heimat sein. Nur hier liegen die Äpfel in Bergen am Straßenrand zum Verkauf. Nach dem Tausch der ersten Düse ist der Motor wieder belastbar. Was für ein Glück, dass es die erste gleich war – denken wir zunächst. Ein bisschen fahren wir noch.

Die Nachtplätze suchen wir in der Natur oder am Dorfrand. Manchmal kommen neugierige Menschen, die uns in ihr Haus einladen möchten, auch zum Schlafen, jedes Mal sehr freundlich und uns willkommen heißend, freudig über unser Dasein und was schenkend. Campen ist hier nicht so bekannt.

 

Wir beobachten die neue Welt beim Fahren. Alle möglichen Fahrzeuge auf den Straßen, stämmige Laster, vollbeladene Autos, Granatäpfel über Granatäpfel am Straßenrand, bunte Obststände . Fahrende, die uns zur Begrüßung freudig zuwinken oder anhupen, ständig. Sobald wir aussteigen, werden wir lächelnd willkommen geheißen, immer wieder „Welcome to Iran…Welcome to Kashan…Welcome to my village…“ 

Mit dem Geld müssen wir uns anfreunden. Ein Riesenbündel haben wir in die Hand gedrückt bekommen beim Wechsel von 100 Dollar. „Die Hunderttausender reichen nicht, ich brauch schon Millionen!“, sag ich vorm Einkaufen zu Simon, der grinst: „Aha, so eine bist du!“  Der Millionenschein ist der größte,  3,30 Euro.

 

Dafür erleben wir beim Tanken für europäische Verhältnisse Unglaubliches.

Erstmal wird Tanken für uns ein Abenteuer, weil wir als Touristen 1. Keine Tankkarte bekommen, nur mit der kann man tanken und 2. auch nicht mit anderer Karte zahlen können, weil im Land keine außeriranischen Geldkarten akzeptiert werden. Wir müssen Lkw-Fahrer bitten, uns etwas abzugeben. Simon hat eine dementsprechende Übersetzung vorbereitet. Beim ersten Mal werden wird recht viel verlangt für iranische Verhältnisse - der Lkw-Fahrer freut sich wie ein Schneekönig. Ob es der doppelte Touristenpreis war oder sein eigen festgelegter Preis wissen wir nicht. Aber für 65 Liter 10 Euro zu bezahlen ist für uns trotzdem ein Fest. Beim zweiten Mal wird richtig abgerechnet, 7 Cent der Liter, beim dritten Mal möchte uns der Lkw-Fahrer die Tankfüllung schenken, aber der Tankwart will noch 500.000 Rial (1,75 Euro) von uns einsacken, also letzten Endes zahlen wir 1,75 Euro für 55 Liter. Brilliant. So kommen wir durch den Iran, jedes Mal muss Simon zwar einige Abweisungen an den Tankstellen abwarten, geht dann aber doch recht zügig. Noah hat die Idee ein Buch zu schreiben, wie man mit 100 Dollar durch den Iran kommt.

 

Unauffällig - das ist unser Motto beim Reisen im eigenen Fahrzeug.

Wir sind weder bunt, noch groß, weder Oldtimer, noch modern, weder teuer, noch sauber. Wir sind einfach. Wir sind gerne auf Einheimischenniveau unterwegs und fallen nicht gerne ins Auge. Wir mögen nicht noch mehr Distanz zu den Menschen unterwegs haben, als wir als Ausländer und Westeuropäer eh schon haben.

Unauffällig sind wir hier im Iran allerdings nicht mehr. Es gibt keine Lieferwagen in unserem Stil, keine geschlossenen. Sehr, sehr selten. Hier ist man mit einem Rundhauber unauffällig, da auf den Straßen viele davon unterwegs sind.

Für uns ist das Werkstattfinden daher so eine Sache. Bei Isfahan wollen wir einiges checken lassen. Simon ist beim Rückwärtsfahren über ein Verkehrsschild gefahren, das sich unten reingedreht verkantet hat und die Bremsleitung etwas demoliert hat, nur den Schutz. Beim Einspritzdüsenprofi kriegt er die Info, dass es vermutlich nicht an der Düse selbst liegt, sondern am Kabel. Unsere lockeren Motorventilatorschrauben und Kugelköpfe der Radaufhängung werden gewechselt. Die Straßen sind eigentlich nicht so schlecht, trotzdem rumpelts immer wieder ordentlich und setzt unserer Old-Lady-Vehicle zu. Schließlich bricht bei voller Fahrt noch die Getriebeaufhängung. Bom. Aber auch das wird haltetechnisch erst improvisiert und dann beim Schweißer schnell behoben.

 

Die Herzlichkeit der Iraner ist sehr besonders. Egal, wo wir aussteigen, die Iraner begegnen uns durchweg freundlich, interessiert, bieten ihre Hilfe an. Trotz Sprachhhindernissen. Dadurch fühlen wir uns gut aufgehoben und entspannter. Wir haben nicht den Eindruck, dass wir öfter als einmal beim Tanken mehr als den üblichen Preis zahlen müssen. Ständig drückt uns jemand Geschenke in die Hand: Gebetskette, Süßes, eine Tankladung, Früchte. Der Mechaniker bei Isfahan findet es „sei unter unserer Würde“ uns im Camper übernachten zu lassen und lädt uns als Gäste in sein Haus ein, zu Frau und Kindern. Aber wir bleiben gerne in unseren vier Wänden und fühlen uns wohl, im Werkstattviertel zu nächtigen. Er versucht es mehrere Male uns zu überreden, irgendwann versteht er, dass es unser vertrautes Heim ist und die Kinder in ihren Betten schlafen mögen.

Die Landschaft wird karger, trockener, wir kriegen Sandstürme mit und Wolkenwetter. Tags ist es recht warm.

 

Iran, Persien, 1001 Nacht. Diese Atmosphäre bieten die Städte.

Tatsächlich entscheiden wir uns, nur zwei kleinere Städte anzuschauen, Kashan und Yazd. Wir fahren durch Isfahan, aber die Stadt ist uns zu groß, wir haben eher Lust auf gemütliche Erkundungstouren. Außerdem haben wir das Ziel, am Jahresende in Südindien zu sein. Iran ist nur geplant zu queren. Erst war einziger Stopp Isfahan gedacht, dann switschten wir um. Lieber zwischendrin gemütlich, wenn wir denn schon auf den Straßen „rennen“.

 

Ja, Persien ist so: Basare, Rosenwasser, Safran, Kamelfleisch, Kupfergeschirr, Stoffe, bunte Wolle, Teppiche, wunderschöne Ornamente, an denen man sich nicht sattsehen kann, süßer Yazd-Kaffee mit Rosenwasser und Kardamom – himmlisch! Datteln, Nüsse, Süßigkeiten, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Restaurants auf den Dächern der Stadt, auf dem Boden sitzend, keine Tische, aber ein Tischtuch wird in der Mitte ausgebreitet und dann gibt es immer Salat, Blätter von Pfefferminz, Koriander und Petersilie, und es gibt keine Messer. Lehmarchitektur. Die Toiletten sind ab jetzt zum auf dem Boden hocken und ohne Klopapier, die linke Hand zum Abwischen mit Wasser, die Unreine. Und altbekannte Kulturen kommen uns wieder näher: Die Zoroastrier. Wer war Zarahustra noch? Wir tauchen ab in diese neue Welt. Inmitten dem verwinkelten Gassenlabyrinth der tollen Altstadt von Yazd finden wir ein bisschen was Vertrautes, eine „Lizard-World“, ein kleiner Tierpark mit Schlangen, Echsen, Skorpionen, einem Affen, der ein Stofftier ausnimmt, Krokodilen…Simon hatte sich bei Ankunft in Yazd - genauso wie in Marrakesch - im engen Gassenlabyrinth der Medina so verfahren, dass er fast steckenblieb, dann rückwärts fahren musste und schließlich drehen konnte. Aber er macht das, schweißgebadet. 

Über mehr schreibe ich im nächsten Blog, bis dahin lasst die Eindrücke wirken…

Wir haben jetzt die Querung der Wüste Lut vor uns, eine der heißesten Punkte der Erde, selbst als Finni jetzt im Sand gewühlt hat war er unter der Oberfläche warm.


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Kommentare: 2
  • #1

    Margarete (Montag, 07 November 2022 10:05)

    Ich habe 2007 eine geführte Kulturreise durch den Iran gemacht, natürlich mit Kopftuch und Mantel. Hat mich nicht gestört. Ich bin nur freundlichen, interessierten, offenen Menschen begegnet. Und diese Kulturschätze aus Zeiten, als wir quasi noch auf den Bäumen saßen! Man erzählte uns damals, dass im Iran mehr Frauen als Männer die Universitäten besuchten. Es war eine meiner schönsten und beeindruckendsten Reisen, die ich gemacht habe. Ich habe aus der Zeit noch immer eine Brieffreundin aus Isfahan �

  • #2

    Anne-Silja (Montag, 05 Dezember 2022 23:36)

    Diese Reisen sind wertvolle Erfahrungen! Nimmt man sein Leben lang als Schatz mit! Man muss es selbst erleben, dann weiß man wie es ist und verliert auch Vorurteile. Iranische Frauen sind sehr gebildet.
    Toll, eine so lange Brieffreundschaft über Ländergrenzen!