Aus dem Sommer 2020:
Natürlich haben wir nie gedacht, dass während wir Homeschooling machen,
plötzlich alle Welt auch Homeschooling macht...
Sonst kommt man sich ja, besonders wenn man aus Deutschland kommt, wie ein Schwerverbrecher vor, wenn die Kinder nicht zur Schule gehen. Nicht so wie unsere kanadischen Nachbarn in Marokko, die mit ihren zwei Kindern auf Weltreise sind und dabei online von ihren Lehrern begleitet werden, wöchentliche Online-Zusammenkünfte haben und sich bei Fragen an jemanden wenden können, ganz zu schweigen vom Lehrmaterial, was gestellt wird. Dort sind auch Onlineschulen anerkannt, Fernschulen, die bis zum Schulabschluss begleiten.
Wenn ich sowas höre, denke ich, Deutschland ist ziemlich hinterher.
In Deutschland ist es eben nicht möglich, mit Kindern längere Zeit zu reisen als die Schulferien es vorgeben - und eine Alternative zur Schule gibt es nicht: Schule muss sein. Alles andere wird schief beäugt. Und die Angst, die Kinder würden unter der Brücke landen, ist spürbar. Zudem ist ein Schulbesuch mit Anwesenheitspflicht ohne Bildungsalternative in Deutschland gesetzlich festgelegt. Da muss man dann Wege finden, der in unserem Falle so ist, dass ein Elternteil nicht aus Deutschland kommt, in Italien herrscht Bildungspflicht.
Wir sind nicht gegen Schule, wir vermissen auch einiges davon und würden sie womöglich wieder nutzen, nur halt nicht dauernd.
Weil wir momentan längere Zeit - als die Schulferien es erlauben - mit Kindern die Welt entdecken, sprich reisen und somit auch „direkt“ lernen, haben wir die Schulräume verlassen.
Hier schreiben wir zusammen darüber, Noah, 12 Jahre, und Anne-Silja, die Mama.
Noah hat vier Schuljahre eine Waldorfschule besucht. Seit Klasse 5 lernen wir zusammen.
Im Laufe der Zeit „haben wir gelernt“, wie wir am besten zusammen schulisch lernen. Das hat etwas gedauert. Wichtig ist, immer darüber zu sprechen, wie es gut oder nicht gut klappt.
Wir haben auch unsere Eigenarten kennen gelernt, das ist wichtig, wenn man zusammen etwas schaffen will.
Noah:
Manchmal ist es anstrengend, mit Mama zu lernen. Aber sonst gefällt es mir besser als Schule. Ich kann darüber reden, wenn es mir zu viel wird und es sind nicht so zack zack die Fächer vorgegeben. Von Schule vermisse ich Handarbeit, Sport und meine Freunde.
Anne-Silja:
Mit Unschooling - intrinsischem Lernen und Homeschooling - extrinsischem Lernen haben wir uns jahrelang beschäftigt. Unschooling bedeutet, dass man ein Kind nicht ungefragt beschult, jede Lerninitiative geht vom Kind aus (intrinsisch). Reines Unschooling passt nicht zu uns, es ist uns zu fern. Natürlich macht Noah Unschooling zum großen Teil selbst, wenn er seine Ideen auslebt, z.B. sich in Vogel- oder Angelkunde einliest, Experimente macht, die er gerade ausprobieren will oder einen Bogen baut. Wir lassen es nicht dabei, wir ergänzen den schulischen Teil/Homeschooling. Es kann interessant sein, Anreize durch Lernthemen zu haben und zu lernen/lesen/hören, auf was man selbst nicht gekommen wäre. Es kann einen weiter bringen, sich mit was auseinander zu setzen, das schwer fällt oder man auch zuerst nicht so mag.
Noah:
Manchmal ist Homeschooling anstrengend, man braucht ewig und hat das Gefühl, dass es einfach nicht aufhört. Da lernen wir zu viel. Ich finde, es ist sinnvoll für Schule zu lernen, weil ich fürs Leben wichtige Sachen lerne und es interessant finde. Mehr Pausentage wären gut.
Anne-Silja:
Während es für Noah manchmal zu viel ist, ist es mir zu kurz. Aber wir lernen intensiv in kurzer Zeit, das darf man nicht vergessen. Es gibt strenge Tage und lockere. Es gibt Stimmungen und Erwartungen bei jedem, das alles braucht Beachtung. Ich als Mutter bin gesellschaftlich konditioniert, mein Kind reflektiert das.
Noah:
Manchmal macht es auch richtig Spaß zu lernen, gerne mag ich Geo, Chemie, Bio und Englisch. Mathe knobel ich auch gerne.
Da wir reisen, lerne ich viel unterwegs. Zum Beispiel wollte ich unbedingt Angeln lernen und habe andere Fischer auf Englisch angesprochen. Dann habe ich auf Spanisch, Portugiesisch und Französisch einige Begriffe kennengelernt, aber vor allem mein Englisch aufgebessert. Schriftlich übe ich die Sprachen mit Mama. Angeln habe ich am besten gelernt.
Anne-Silja:
Dem Angeln kann Noah mehr Zeit widmen. Direkt ist das zwar kein Schulthema, aber deckt trotzdem Lernbereiche ab: Kommunikation auf verschiedenen Sprachen, neue
Begegnungen mit Menschen, der Verkauf von Fischen an andere Touristen ist echter Handel und Rechnen, in seinen
Fachbüchern informiert er sich über Biologie, Natur, eignet sich Wissen an, um sein Ziel zu erreichen und zu
verstehen. Selbtbestimmt.
Eine Reise schenkt viele Eindrücke und stellt viele Fragen.
Wissen und Menschen - dem begegnen wir täglich unterwegs. Wir kommen sozial ständig in Kontakt. Mit Menschen jeden Alters, aus verschiedenen Kulturen, also mit verschiedenen Denkweisen und Verhaltensarten.
Die Kinder gehen auf Fremde zu und interessieren sich, fragen nach um zu verstehen, die Menschen freuen sich darüber, antworten und integrieren sie gerne.
Noah:
Ich selbst bastle gerne, hab viele Ideen und baue viel, was mir in den Kopf kommt. Ich kann mit der Natur was anfangen und interessiere mich sehr für die Natur.
Anne-Silja:
Noah versucht Lösungen zu finden, nur aus sich heraus. Im direkten Zusammenleben mit uns kann er beobachten, wie wir Lösungen finden und handeln, um Probleme anzugehen.
Noah:
Wenn es dann um Schule geht, also hinsetzen und gewisse Themen durchgehen, ist das komisch, weil ich mich aus meinem Alltagstun rausgerissen fühle. Ich mag auch nicht das frühe Aufstehen. Bisher bin ich an eine Waldorfschule gegangen, die hat mir ganz gut gefallen. Am besten die Pausen, wir hatten einen tollen Pausenhof mit Bäumen und Schafen. Wichtig sind mir meine Freunde. Meine Freunde bleiben, das weiß ich, auch wenn ich weg bin, ich treffe sie wieder und die echten Freunde bleiben. Außerdem weiß ich, dass ich auch neue finde, die zu mir passen. Freunde sind für mich auch nicht immer nur genauso alt wie ich es bin. Unterwegs verstehe ich mich gut mit anderen Kindern und Erwachsenen.
Anne-Silja:
Noah setzt sich selten aus Eigeninitiative hin und lernt schulisch. Wir haben gemerkt, dass Struktur wichtig ist. So lernen wir jeden Morgen von Montag bis Freitag, meist morgens. Mit Pausen. Verschiedene Fächer dauern länger oder kürzer. Jeden Tag nehmen wir mehrere Fächer durch, nicht zu viele. Wiederholung und am Thema dran bleiben sind wichtig. Meist lernt er mit mir, manchmal mit Simon. Ich finde das etwas einseitig und kann nicht so erklären wie ein Lehrer. Ich übe mich in die Themen ein und wir lernen dann zusammen. Wenn wir es brauchen oder gerade der Nachbarcamper ein Mathelehrer oder Gitarrenlehrer ist, nehmen wir andere supergerne und dankbar mit ins Boot. Apps wie "Sofatutor" oder „Anton“ oder "Khan Academy", selbstausgesuchte Wissensvideos nach Interesse werden auch genutzt. Wir benutzen auch Schulbücher - interessante Themen wie im Geobuch angeschnitten, Mathetüfteleien und Erklärungen aus Büchern – helfen uns logischer und klarer zu verstehen.
Noah:
Ich habe Hefte in Deutsch und Mathe. Lernhefte und Übungshefte. Vor allem übe ich Rechtschreibung. Manchmal noch sowas wie Fälle, Grammatik, Zeiten, jetzt gerade Meinungen begründen, sachlich oder anschaulich erzählen. Deutsch ist nicht so meins. Eher Mathe. Das verstehe ich oft besser als Mama. Da haben wir alle Grundrechenarten, Primzahlen, Potenz, Bruchrechnen in allen Rechenarten, Dezimalrechnung, Geometrie, Negativzahlen, Prozentrechnen und immer Wiederholung. Dann habe ich noch Französisch und Englischhefte, Geo und Geschichte, Bio und Chemie, nicht dauernd, den Atlas mag ich gerne, ich schicke ein paar Fotos von den Büchern. Wir nehmen den Inhalt von Klasse 5 und 6 durch. Je nachdem, was mich gerade interessiert und wie schnell ich bin, sind wir weiter oder langsamer als in der Schule. Heute haben wir ein Video angeschaut, wie Leute in Südamerika nur aus der Naturerde unterirdische Häuser bauen, fand ich ganz spannend.
Anne-Silja:
Die eigen übernommene Verantwortung als Eltern wird deutlich, wir geben nicht ab, sondern handeln selbst. Trotz Herausforderung machen wir das gerne. Von verschiedenen Menschen Lehrinhalte vermittelt bekommen, Fachleute erklären lassen und Feedback bekommen, all das ist wichtig. Das fehlt uns immer wieder - sozusagen das Dorf, das es braucht, um Kinder zu begleiten (afrikanischer Spruch). Wenn wir etwas nicht verstehen, arbeiten wir uns zusammen durch, so kommen wir der Sache näher. Besser als Frontalunterricht kann es sein - in der Schule verstehen Schüler auch nicht immer, was der Lehrer erklärt. Wenn wir zu zweit individuell lernen, lernen wir auf Noah abgestimmt, das heißt, bis er es versteht (oder ich). Wiederholung ist wichtig. Vergleichen mit anderen bringt nichts, jeder in seinem Tempo.
Homeschooling bedeutet auch, Regeln einzuhalten, neue aufzustellen oder kritisch anzuschauen.
Homeschooling bringt uns während dem freien Leben unterwegs Struktur und ein „Alltagsleben“.
Es gibt auch Geigenstunden per Skype, weil das ein Wunschinstrument war.
Noah:
Ich lerne viel über Natur und da ich angle, sehr viel über Fische - mein Lieblingsthema.
Gerade mache ich selbst in Handarbeit eine Armbrust. Ich würde viel lieber mehr Handarbeit machen.
Anne-Silja:
Das Verhältnis Eltern-Kind ist in der Lernsituation speziell, hat Vor- und Nachteile. Irgendwie benimmt man sich mehr bei fremden Menschen. Gehts dir auch so? Es braucht immer wieder Austausch miteinander, wie die Lernsituation für beide angenehm ist. Wir kriegen das mal mehr, mal weniger gut hin – also völlig normal. Es bringt uns einander näher, auf jeden Fall näher als im üblichen Alltag, wo wir große Zeit des Tages getrennt verbringen.
Auf jeden Fall hat sich mittlerweile eine Selbstverständlichkeit entwickelt fürs Lernen. Also auch wenn Lernen alles, was man macht, ist, hier ist das schulische gemeint. Die Basics der Schule (Rechnen, Schreiben, Lesen,...) mitgeben ins Leben. Und eben zeigen, was es noch so alles gibt, um vielleicht Interesse zu wecken.
Schön ist zu sehen, wie Noah Freude entwickelt und stolz ist, Aufgaben zu lösen, selbst Aufgaben zu erstellen und zu tüfteln. Wenn man Herr über sein Können ist, machts Spaß, man erkennt und wendet an. Auch Schweres wird überwunden. Jedes Kind hat seine eigenen Charakterthemen, mit den Dingen des Lebens umzugehen und so sind sie auch schulisch anders aufgestellt.
Unterwegs treffen wir meist reisende Familien mit bis zu achtjährigen Kindern ohne Schule. Freilernen, Unschooling, Homeschooling ist "in" - was ja auch vieles leichter macht, weil man da Thema mit anderen teilen kann.
Grundsätzlich muss jeder für sich durch. Jedes Kind ist anders, zu jedem passt was anderes. Mädchen sind schulaffiner, lernen von sich aus eher schreiben und sitzen ruhiger schon vor der Schule (natürlich nicht alle). Was es bedeutet auch mit größeren Kindern ohne Schule zu leben, da finden wir wenig Erfahrene. Was es bedeutet, dass Kinder von sich aus nicht Basics lernen wollen, sondern erst ab Jugend? Wenn es mal nicht so easy geht, und nicht so leicht klingt, dass es beim Kind alleine flutscht ... Da freuen wir uns über jeden gemütlichen Zuammenhock mit anderen Familien in derselben Situation... Real life und auch freies Leben und Homeschooling sind nicht immer geil. (Aber meistens)
Da Homeschooling und Unschooling in Deutschland mehr Interesse findet, hat das jährliche Schulfrei-Festival bei Berlin Zulauf. Hier trifft man völlig verschiedene Leute, die alle ein Thema verbindet, kann sich rechtlich und über die Lernangebote (z.B. Online-Schulen) informieren, Erfahrungsberichten lauschen oder sich als Jugendliche austauschen, wie man ohne Schule für angehende Abschlüsse lernt.
Wichtig:
Gleichgesinnte suchen, Gruppen für Austausch und Umsetzung. Das Thema „Kind nicht in der Schule“ ist ziemlich verpönt, voll Vorurteile und Ängste. Das Verankern des Verbots im deutschen Gesetz unterstützt solch ein Denken auch.
Wir sind für individuelle Wege. Für Mut, diese zu beschreiten.
Schulpause darf sein, Jugendliche, die ohne Schule ihren Abschluss machen wollen und alleine darauf hinarbeiten, dürfen sein, Vertrauen darf sein.
„Schule fürs Leben“ bedeutet auch: Wie komme ich im Leben zurecht? Den Grundstein soll einzig Schule legen?
Wir finden, dass wir durch unser Leben unterwegs Wertvolles mitgeben, was im üblichen Alltag wenig umsetzbar war. Selbstvertrauen, Selbstbestimmung, sich selbst wahrnehmen, statt in Zeiten gezwungen werden, Zeit haben und nehmen, sein dürfen, sich spüren – das leben wir mehr aus.
Das Gemeinschaftsgefühl, einem Druckgefühl Stand zu halten, Zeiten einzuhalten, die Festigkeit, Regelmäßigkeit, Konfrontationen - was Schule bietet, ist auch wichtig zu erfahren.
Wir Eltern schätzen beides, ein Leben für Kinder mit Schule und ohne Schule.
Beides hat richtig gute Seiten, die bereichern.
HOMESCHOOLING ist eine Sache, beim Reisen kommt WORLDSCHOOLING noch dazu.
Das Buch „Schulfrei“ von Stefanie Mohsennia habe ich nicht mehr aus der Hand gelegt.
Es bringt auf den Punkt, was Sache ist zum Thema „Lernen ohne Schule“. Die Autorin spricht wesentliche Bereiche an und traut sich, in die Tiefe zu schauen. Sie ist authentisch, weil sie mit den Fragen direkt in die Familien und an die Kinder geht, dort nachhakt, wo es gelebt wird. Das Buch ist spannend, weil es neue Sichtweisen bringt - besonders auch für diejenigen, die sich noch nicht stark mit dem „Leben ohne Schule“ auseinander gesetzt haben. Bevor es Bewertungen gibt, Ablehnung, Ängste dem „Ohne Schule“ gegenüber darf man sich gerne erst für das Thema wertfrei interessieren und es verstehen wollen. Das gelingt Stefanie Mohsennia gut, finde ich, sie erklärt Antworten zu den wichtigsten Fragen. Zum Beispiel „Ist die Sozialisation nicht durch das Leben ohne Schule gefährdet?“ oder „Schule muss sein – oder?
Jetzt ist aber viel dazu geschrieben! Habt ihr auch Lust, was zu schreiben...?
Team Lumaca Kids (Sonntag, 27 Februar 2022 02:09)
Homeschooling ist eine Herausforderung für uns aber die wir gerne annehmen.
wir wünschen viel Erfolg.
<a href = "http://lumaca-kids.de"> Lumaca Kids </a>
Korneli (Montag, 06 Juli 2020 20:28)
Euer Bericht über Schule ist toll. Nicht jedes Kind ist für unser Schulsystem geeignet und braucht andere Wege. Leider kann unser Schulsystem das nicht leisten. Kinder werden in eine Schablone gepresst und wer nicht reinpasst fällt eben hinten runter. Wir wünschen Euch noch viele tolle und interessante Erlebnisse.